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Bevor ich mich über das Tübinger Seminar für Allgemeine Rhetorik informiere, möchte ich zunächst genauer wissen, was Rhetorik ist.

Tübinger Rhetorik

Für das Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübingen - dem einzigen eigenständigen Universitätsinstitut für Rhetorik in Deutschland - ist Rhetorik mehr als nur Technik geschickter Rede. Rhetorik ist neben der Philosophie das wichtigste, differenzierteste und wirkungsmächtigste Bildungssystem der europäischen Kulturgeschichte. Daher umfa▀t die Ausbildung am Seminar für Allgemeine Rhetorik sowohl die praktische als auch die theoretische Seite der Rhetorik, fühlt sich das Institut der Erforschung und Weiterentwicklung des Bildungssystems Rhetorik genauso verpflichtet wie der praktischen Ausbildung der sprachlichen Kompetenz der Studierenden.

Schon in der Antike stellte die Rhetorik eigene Überlegungen zur Wahrheit von Sätzen und Aussagen an, entwickelte eine in Konkurrenz zur Philosophie stehende Wahrheitstheorie. Rhetorik bemüht sich, Wissen Praxis werden zu lassen, stellt sich - der Aufklärung verpflichtet- die Frage, wie Vernunft in einer Gesellschaft sprachmächtig werden kann. Rhetorik ist somit das praktische Gegenstück zur Hermeneutik, die nach Verstehen strebt. Der Blick auf die Praxis bringt die Frage nach Richtlinien für praktisches Handel mit sich, führt zu ethischen Überlegungen. Richtigkeit und Falschheit sind für die Rhetorik keine absoluten Grö▀en, sondern historisch und lebensgeschichtlich variabel. Daher entwickelte die antike Rhetorik als Antwort auf die Frage nach Richtlinien und Ma▀stäben für unser Handeln ein Erziehungsprogramm für den Redner, das bis heute auf unser Erziehungssystem wirkt.

Die Allgemeine Rhetorik als theoretische Wissenschaft befa▀t sich mit der Analyse von sprachlichen Intentionen und den rhetorischen, ästhetischen, kommunikativen und sozialen Bedingungen ihrer Realisation. Als angewandte Wissenschaft gibt sie Anleitungen zum wirkungsvollen Verfassen von Texten, trainiert die verschiedenen Formen mündlicher Rede. Auch Seminare, in denen Arbeitstechniken für Printmedien, Rundfunk und Fernsehen gelehrt werden, finden im Rahmen der angewandten Rhetorik ihren Platz.

Rhetorik gründet sich auf die antiken Quellentexte griechischer und römischer Rhetoren, doch hat sich die Theorie der Rhetorik durchgängig fortentwickelt und gerade in den letzten Jahrzehnten wieder an Relevanz gewonnen. Alles philosophische Nachdenken über Fakten, Werte und Entscheidungen erscheint heute - da nicht länger von einer absoluten Vernunft sanktioniert - mit Gefühlen, historischen Perspektiven und pragmatischen Motiven verflochten, also meinungsgebunden und rhetorisch.

Studienaufbau

Im Grundstudium liegt der Akzent auf der Erarbeitung der historischen, methodischen und technischen Voraussetzungen für die wissenschaftliche und praktisch-rhetorische Tätigkeit. Neben Proseminaren, die in Theorie, Geschichte und Systematik des Faches einführen, treten Schreibseminare mit praktischen Übungen, die zur selbständigen Textproduktion anleiten, aber auch die allgemeine Sprach- und Schreibfähigkeit fördern sollen. Zum festen Bestandteil des Grundstudiums gehören au▀erdem Übungen zur angewandten Rhetorik, in denen verschiedene Formen der mündlichen Rede (Gespräch, Diskussion, Debatte, freie Rede) geübt werden.

Nach dem Grundstudium erfolgt die Entscheidung für einen Arbeitsschwerpunkt aus den Bereichen "Antike bis 18. Jahrhundert" oder "18. Jahrhundert bis 20. Jahrhundert". Das Ziel des Hauptstudiums liegt in der Erweiterung und Differenzierung der wissenschaftlichen Kenntnisse auch hinsichtlich des angestrebten Berufsziels. Zu historisch ausgerichteten Hauptseminaren treten Veranstaltungen, die einen Beitrag zur methodischen bzw. methodologischen Weiterentwicklung der Rhetorik leisten sollen. Wiederum stehen auch Schreib- und Praxisseminare auf dem Studienplan: die praktischen Ausdrucksfähigkeiten sollen vervollkommnet und eine zusätzliche Orientierung hinsichtlich der verschiedenen Berufsziele ermöglicht werden.

Berufsaussichten

Auf Grund ihrer medienpraktischen Ausbildung sind Rhetoriker zu einem gro▀en Teil bei Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsendern beschäftigt. Au▀erdem finden sie bei Firmen und Verbänden im Bereich Öffentlichkeitsarbeit Einsatz. Auch die freiberufliche oder angestellte Tätigkeit als Redelehrer oder Ghostwriter bietet sich an. Überdies stehen Rhetorikern Tätigkeiten bei Verlagen (Lektorat) und im Kulturmanagement offen.


olaf.kramer@uni-tuebingen.de(olaf.karmer@uni-tuebingen.de) Stand: 15. 4. 1996